In einer offziellen Broschüre des Bundesministeriums der Justiz zum Thema Beratungs- und Prozesskostenhilfe heisst es in der Einleitung unseres Bundesministers:

“(…) Die Beratungshilfe sichert Menschen mit niedrigem Einkommen gegen eine geringe Eigenleistung Rechtsberatung und Rechtsvertretung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu. (…)

Eine freiheitliche Gesellschaft wird durch das Recht geregelt. Sie lebt daher davon, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen, ihre Rechte durchzusetzen. Beratungs- und Prozesskostenhilfe leisten dazu einen wichtigen Beitrag.(…)”

Ja, da hat er Recht.

Gerade im Sozialrecht ist diese Möglichkeit extrem wichig. Wenn sich die Menschen nicht mehr mit professionellem Beistand gegen Bescheide der (mehr oder weniger) staatlichen Behörden wehren können, wird sich das in eine gar nicht gute Richtung entwickeln.

Aber: In der Praxis höre ich nun immer häufiger, dass es den Menschen, die einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe bei ihrem Amtsgericht beantragen möchte, immer schwerer gemacht wird, diese Beratungshilfe auch zu erhalten.

Eigentlich sollte es meines Erachtens so sein, wie es bis vor nicht allzu langer Zeit beim Amtsgericht Kassel lief: der Betroffene spricht zu den Öffnungszeiten bei der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts vor, weist seine Bedürftigkeit und sein rechtliches Anliegen nach und erhält dann direkt den Berechtigungsschein ausgehändigt. Wenn es mal voll war, musste man eben etwas warten.

Dieses Praxis hat das Amtsgericht schrittweise immer mehr ausgedünnt. Inzwischen ist es so, dass man einen festen Termin vereinbaren muss, den man in der Regel (ich weiß nicht genau, ob es auch anders geht) online buchen muss – und zwar über folgenden Link:

https://terminvereinbarung-justiz.hessen.de/

Das Problem: Termine werden überhaupt nur an zwei Tagen pro Woche angeboten und der Vorlauf beträgt in der Regel mindestens drei Wochen, Tendenz steigend.

Das ist schwierig, gerade im Sozialrecht. Wenn ein Bescheid ergeht, hat man nur einen Monat Zeit, um Widerspruch zu erheben. Selbst wenn man sich sofort um einen Termin beim Amtsgericht kümmert, wird das zeitlich knapp.

Einen Termin beim Anwalt erhält man in der Regel erst, wenn man einen Berechtigungsschein hat. Das klappt also zeitlich alles nicht.

Klar, die Betroffenen können auch zunächst selbst Widerspruch erheben. Aber glauben Sie mir, viele sind dazu aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage, ein fristgerechten und formgerechten in nachweisbarer Form einzureichen und wissen auch gar nicht, was sie schreiben müssen. Außerdem möchte man ja eigentlich vorab vom Anwalt wissen, ob ein solcher Widerspruch überhaupt Sinn macht.

Nicht selten geht es auch einfach um die nackte Existenz und um Probleme, die nicht ein paar Wochen warten können.

Viele Menschen geben dann einfach auf, das konnte ich in der letzen Zeit sehr häufig beobachten. Sie wehren sich dann gegen ein möglicherweise falschen Bescheid einfach nicht mehr.

Wie war das, Herr Minister ? Die freiheitliche Gesellschaft lebt davon, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen, ihre Rechte durchzusetzen ??

Nein, in der Praxis führen die umgesetzten Maßnahmen dazu, dass genau das nicht mehr möglich ist.

Die Situation ist so nicht mehr tragbar, jedenfalls im Bezirk Kassel.

Ich lese gern von Ihren Erfahrungen zu diesem Thema unten in den Kommentaren. Besonders interessiert mich, wie die Lage an anderen Amtsgerichten ist. Bitte berichten Sie, wenn Sie mögen.

Ich werde in den nächsten Tagen ein Schreiben an den Direktor des Amtsgerichts Kassel richten und auf die Missstände hinweisen. Vielleicht schließen sich ein paar Kolleginnen und Kollegen an.

Auf die Antwort bin ich gespannt.

Weitere Informationen zur Beratungshilfe erhalten Sie unter https://www.ra-grotha.de/wordpress/kosten/beratungshilfe/.

Quo vadis, Beratungshilfe?